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Verschwörungstheorien? Gibt es auch im Bankenumfeld!
Verschwörungstheorien erfahren derzeit ein neues Hoch und finden zahlreiche Anhänger. Und es gibt sie auch am Finanzmarkt. Wie kommen sie zustande? Und wie kann man sich gegen sie wappnen?
Dieser Tage publizierte die Universität Oxford im Magazin Pychological Medicin eine Studie in Verbindung mit dem Corona-Virus und den staatlicherseits verordneten Maßnahmen. Danach outen sich etwa 50 % der Engländer – in unterschiedlicher Ausprägung – als Anhänger von Verschwörungstheorien.
Auch in der bundesdeutschen Bevölkerung soll es ja eifrige Fans geben. Mich bewegen dabei weniger die steilen Thesen, die von diesen propagiert werden, als solche. Vielmehr treibt mich die Frage um: Wie kommen die dazu?
Denkbare Gründe für das Entstehen und die Verbreitung von Verschwörungstheorien gibt es viele. Manchmal ist es im Angesicht der Komplexität die Sehnsucht nach einfachen, verständlichen Lösungen. Und im Gefühl der eigenen Misere mag es helfen, sich als Opfer zu sehen – und dafür bedarf es leider eines Schuldigen. Manchmal aber, so meine persönliche Theorie, fehlt es einfach nur an Verständnis für Ironie.
Und nein, ich kann mich diesbezüglich nicht auf wissenschaftliche Untersuchungen stützen. Aber meiner Lebenserfahrung nach ist so manche Verschwörungstheorie dadurch entstanden, dass jemand nicht verstanden hat, dass ein soeben vernommener Beitrag ironisch gemeint war. Und dann zieht dieser jemand los und verbreitet diesen Beitrag als vermeintlich ernste Geschichte weiter. Heute natürlich bevorzugt digital.
Als Mitglied des Berufsstandes der Bankkaufleute bin ich auch selber – und das schon zu Zeiten von Steintafel und Keilschrift (Achtung: Ironie!) – mit berufsspezifischen Verschwörungstheorien in Kontakt gekommen.
Verschwörungstheorien im Bankenumfeld
Mitte der 90er Jahre erläuterte mir beispielsweise ein Kunde voller Überzeugung, dass es zwei Zinsmärkte gäbe: Auf dem einen, dem geheimen, hätten die Banken sich verabredet, sich nur gegenseitig besonders attraktive Zinsen zu zahlen. Und auf dem anderen, dem Zinsmarkt für die Privatanleger, da würden sie ausschließlich mickrige Zinsen bieten.
Der Kunde war sichtlich überrascht, als ich ihm anbot, sein Geld ebenfalls an dem geheimen Markt anzulegen. Der geheime Markt sei allerdings gar nichts so geheim und habe auch einen Namen: Börse. Und für die höheren Zinsen müsse man zwar ein paar Risiken in Kauf nehmen. Aber per Saldo sei das schon lohnend. Und so verlor diese Verschwörungstheorie einen Anhänger und die Börse gewann einen Anleger.
Und ich wage mir gar nicht auszumalen, was für ein Aufschrei durchs Land gegangen wäre, hätte es in meiner Ausbildung schon Twitter gegeben. War es doch damals üblich, wenn der Ausbilder in der Filiale mit den Frischlingen unter den Azubis erstmals über die Berechnung von Zinsen sprach, diese Azubis in den Keller der Bank zu schicken. Von dort sollten sie den Zinsfuß heraufholen. Schließlich brauche man dieses wichtige Instrument, um die dem Kunden zustehende bzw. von diesem zu fordernde Zinszahlung zu ermitteln.
Kehrte der Azubi dann trotz blumigster Beschreibung des zu suchenden Handwerkszeuges ergebnislos aus dem Keller zurück, schafften es manche Ausbilder ihrer Enttäuschung so überzeugend Ausdruck zu verleihen, dass der ehrgeizige Azubi erneut in den Keller rannte.
Social Media und Fake-News
Ich sehe rückblickend die Twitter-Schlagzeile meines Ausbilders vor mir: „Flächige Organisationsdefizite bei Banken aufgedeckt – wichtigste Instrumente zur Zinsberechnung bundesweit nicht auffindbar.“ Und wenn diese vermeintliche News dann tausendfach geteilt worden wäre … Vermutlich wären danach ernstgemeinte Tweets aufgekommen, die BaFin und Wirtschaftsprüfern unterstellt hätten, ihrer Aufsichtspflicht hinsichtlich der ordnungsgemäßen Aufbewahrung von Zinsfüßen nicht nachgekommen zu sein. Politiker wären bezichtigt worden, dem Druck der Banken-Lobby nachgegeben und zu laxe Gesetze für die ordnungsgemäße Berechnung von Zinsen verabschiedet zu haben. Und mein Ausbilder? Der hätte wahrscheinlich entnervt seine Twitter-App gelöscht, um nie wieder in Versuchung zu geraten, ironische Tweets abzusetzen.
Schutz vor Verschwörungstheorien
Wie aber schützt man sich davor, selber einer Verschwörungstheorie auf den Leim zu gehen? Nun, auch hier hilft Ironie, so meine feste Überzeugung. Denn eine ironisierende Betrachtung einer erhaltenen Nachricht ermöglicht es, eine hinterfragende Distanz zu dem Gehörten einzunehmen, ohne das Gehörte einfach in eine Schublade zu stecken.
Und damit kommen Sie bestimmt auch dem Geheimnis auf die Spur, warum Ihr Nachbar, der immer erst in den späten Abendstunden völlig erschöpft nach Hause zurückkehrt, mehr Aktienfonds besitzt als Sie!
Bis dahin verbleibe ich mit verschwörerischen Grüßen aus dem dunklen Machtzentrum des geheimsten aller Finanzmärkte, meinem Home-Office in der Hamburger Peripherie,